[18 GESCHICHTEN: DAS AUGE]


Was ist das, sagt der Magier und lässt den Froschlaich durch die Finger gleiten. Aufreizend langsam. Schwebend. Ein einziges Ei, Großaufnahme. Sehen Sie hier, Gallert, das weiche Glas, die schwarze Pupille darin, in der Mitte. Schauen Sie durch, schauen Sie dahinter: Nichts, wie es scheint. Was ist das. Sehen Sie genau hinein, in diesen da.

Gibt's wirklich nicht? Völlig unmöglich? Sagst du, weiß schon. Gehe dir damit auf die Nerven. Die Nerven. Das Gehirn, der Druck. Auf den Knopf drücken, machs aus. Kannst du das. Auch nicht. Gibt's nicht. Völlig unmöglich. Ganz sicher? Auf die Nerven, frag das zum wievielten Mal. Weiß schon. Dennoch. Werde das nicht los. Sieht mich an, kann es nicht sehen. Immer ich. Überall. Der Bildschirm, unendlich. Meine Zeit läuft nicht ab. Abschalten unmöglich. Erst im Tod.

Schauen Sie weiter, diese Dinge sind magisch. Klar und unsicher. Nicht möglich, im Grunde. Aber da, wie dieser dahinter, den Sie hier sehen. Auf allen Kanälen, überall. In der Pupille ist wer zu sehen. Ein junger Mann in seinem Stuhl, schaut ihn an. Schaut in den Fernseher, der junge Mann, wie er eine unbekannte Sendung sieht. Die Fernbedienung in der Hand. Im Kopf. Es ist eine Linse, sagt der Magier. Und hält das Froschei in der Hand. Sehen Sie, dieser kann hier gesehen werden. Die Technik, sagt er und alle mit ihm, kann das nicht. Es ist aber seine eigene Technik. Die kann alles, Froschlaich ablegen in seinen Kopf. Ein Phänomen, dieser Mensch. Sehen Sie, er hat sich selbst zugerichtet. Der junge Mann schaltet weiter, der Magier lacht. Sehen Sie, ich bin sein Programm.Sehen Sie weiter, Sie haben alle Zeit aller Welten.

Die Stimme. Weiß, dass das nicht geht. Breaking down is easy. Hör sie, hat gesagt, soll runter springen. Frosch sein, ins kalte Wasser. Abschalten. Von ganz oben. Gesprungen. Schlecht. Hat gelacht, die Stimme. Misslungen damals. Scheiß Stuhl, das bin ich. Kein Weg. Keine Lust. Möchte nichts. Abbruch. Soll aufhören. Ist unmöglich, es geht immer weiter. Muss selbst abschalten, mich. Aber ertragen, unmöglich. Mich ertragen, den Bildschirm. Diese Dinge sind magisch. Angst, große Angst, wem zu begegnen. Von früher. Sehen mich alle. Wirklich. Lachen mich aus. Hinterm Rücken. Reden über mich. Ertrag ich nicht. Wie ich da sitze. Gefesselt, im Grunde. Ausgeliefert. Unfähig und hässlich. Alle sehen mich. Ich seh nichts. Das Schwarze. Perspektivlos. Bildschirm schweigt zu mir. Das Ticken, die Stimme, der Bildschirm. Hab Angst, vor Freunden, Fremden, Dir. Vater, Mutter, Herr im Himmel nirgendwo. Nichts ist alles möglich unsichtbar. Sagst, es geht nicht. Technisch unmöglich. Maschinen sind blind. Ich weiß. Ich sehs. Ich seh nichts. Ich weiß nichts. Abbruch immer das einfachste. Erst im Tod.

Sehen Sie ihn, sagt der Magier. Da ist er, alte Bekannte um ihn. Eine Diskothek in der alten Heimat. Sie tanzen, er sitzt auf Rädern. Trinkt und trinkt. Sehen Sie genau hinein. Glasig seine Augen von Bier und Rauch. Scham. Er sitzt und trinkt und kann nicht weg vor Scham. Und jetzt, der Magier macht das Laichauge sperrangelweit auf, jetzt: der Heimweg. Ist das nicht komisch? Alles vollgepisst, er zieht eine nasse Spur übers Pflaster. Er schwimmt im Urin. Seiner Scham. Ist wie ein Brunnen, in dem er wartet. Er klingelt, da, die Eltern. Waschen ihn, waschen den Stuhl. Der Gestank. Den können Sie nicht sehen, aber spüren. Die Scham. Sein besoffenes Gesicht. Wie er verschwinden möchte. Ist das nicht unterhaltsam? Von wo sehen Sie zu: Greiz, Berlin, Kalkutta, New York, Princestown? Sie können alles sehen. Schauen Sie in sein Innerstes: das Herz zuckt, ein abgehackter Froschschenkel, ruft nach Unmöglichem. Keine, die ihn rettet. Nirgendwo die Prinzessin. Kein Kuss für ihn. Aber ein nie versagender Brunnen. Der Magier lacht. Das ist ein Märchen? Nur im Leben.

Uhren im Gehirn. Der Sand im Getriebe. Der tägliche Hell-Dunkel-Wechsel. Hell-Heaven. Niemand sieht mich, wenn ich tot bin. Klapp die Augen zu. Mein Kind. Das ich nie haben werde. Körper ist bankrott. Ein Körper aus Verachtung. Unwissend, unbekannt, von allen betrachtet. Die Angst. Wo bin ich. Was, wer. Bildschirm sieht mir zu, sieht mich. Alle sehen mich. Weiß schon, die Nerven. Ich bin überall, nicht da. Wo ich hingehöre. Bin Legion, krieche aus allen Bildschirmen. Von überall zu sehen, nirgendwo Himmel. Vater, die Angst. Vater euer. Nicht meiner, bist nicht. So wie ich. Will nicht mehr. Nicht mehr gesehen werden. Der Bildschirm hat wirklich kein Auge. Kann mich wirklich nicht sehen. Zum wievielten Mal. Weiß schon. Aber es geht, er tuts. Geht mir auf den Geist. Im Geist herum. Sieh mich an. Wenn wir uns noch einmal sehen. Erst im Tod. Erst im Tod. Darin ist Magie. Wirf mich an die Wand. Aus mir wird nichts. Nur das Aus. Hast ne Freundin. Immer noch die. Schön. Ich nicht. Hätte damals besser fallen sollen. Scheiß das alles. Wir sind schlechte Tiere. Kein zurück. Will nichts besser machen. Nichts machen. Kann nichts. Sieh mich an. Was kann ich können. Nur weg. Augen zu. Aus. Erst im Tod.

Der Magier lässt den Froschlaich schweben, er fliegt in alle Richtungen, alle Himmel. Ei für Ei. Sehen Sie hinein, wo immer Sie sind. Das Auge kann sich selbst nicht sehen. Erst im Tod schaut es sich an. Wenn ein neuer Frosch sich ankündigt.

Mach aus. Bildschirm aus. Gehe. Kommst mit eine rauchen. Ah so. Ich muss. Bis zum Schluss. Bis ich blind werde.

Nein.




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© sascha preiß 2003