[18 GESCHICHTEN: DAS LETZTE HEMD]


Wann kommst du?
Üblicherweise passiert an solchen Tagen immer alles mögliche. Heubachs Abschied verzögerte sich bis in die Nacht. Hier was, da was, man kann nur hoffen.
Wir sind verabredet.
Wird nicht zu spät werden. Vorausgesetzt, ich komme rechtzeitig hin.
Iss lieber was. Bügeln dauert noch.
Haben wir kein anderes?
Das blieb für heute übrig.
Das ist eng und lässt sich schlecht knöpfen.
Und hat in der rechten Achsel ein Loch, habs gestern gestopft.
Als ob wir uns nichts Besseres leisten könnten. Ein luftigeres, andere Farbe.
Du willst doch abnehmen.
Ab morgen. Heute muss ich gut aussehen.
Dafür muss man leiden können.
Kein Grund für ein schlechtes Hemd.
Zu spät.
Ab morgen können wir ausschlafen.
Ich werde übrigens vergessen, den Wecker auszuschalten.
Solange ich nicht vergesse liegenzubleiben, macht das nichts.
Vergiss mal lieber nicht loszugehen, es ist halb.
Ja, ja.
Und zieh dich endlich an.
Die anderen hast du wirklich schon weggeschmissen?
Schau in den Schrank.
Was ist mit dem hier?
Das ist schmutzig und war dir immer zu kratzig.
Wirklich? Es sieht ganz gut aus.
Sei nicht albern. Du nimmst jetzt das und der Tag wird gut.
Aber das Grüne?
Mit dieser Krawatte?
Dann nehm ich eine andere.
Du hast sie gestern alle weggeworfen.
Ja, ja.
Mach dir nicht ins Hemd, du wirsts überleben.
Heubach hatte sich extra ein neues gekauft. Und ich trag so ein abgenutztes Ding.
Wie wärs mit einem abgenutzten Anzug, dann fällts nicht so auf?
Mach dich nur lustig. Dir kanns ja egal sein, wie ich rumlaufe. Wenn ich dein Geheule immer höre, sobald es mal ins Theater gehen soll. Welches Kleid denn nun, welches Kleid denn nun, Hannes, welches Kleid denn nun.
Könntest dich ja mal beteiligen. Statt dessen kümmerst du dich überhaupt nicht, wie ich aussehe und nörgelst dann herum.
Ich darf dich ja nicht mal beim Kauf begleiten, du lässt mich ja gar nicht zu Wort kommen.
Ich frag dich immer, welches Kleid ich anziehen soll.
Aber wenn mir immer ein anderes als dir gefällt.
Aha. Du findest also meine Kleider hässlich.
Das habe ich nicht gesagt.
Aber du hättest es gern gesagt.
Ich hätte es nicht gern gesagt.
Ob gern oder nicht gern, gesagt hättest du es.
Was ich gesagt hätte und was ich nicht gesagt hätte, ist doch jetzt völlig uninteressant.
Du magst es uninteressant finden, ich möchte in meinen Kleidern schön aussehen.
Ich finde es überhaupt nicht uninteressant, ob du in deinen Kleidern schön aussiehst, ich möchte nur in meinen Sachen auch nicht hässlich aussehen.
Da hast du es schon wieder gesagt!
Ich habe überhaupt nichts gesagt.
So bist du immer. Erst etwas Verletzendes behaupten, und dann keine Verantwortung übernehmen wollen. Hast du dich schon einmal gefragt, warum alle deine Kollegen in bessere Positionen gekommen sind als du?
Es sind längst nicht alle Kollegen in bessere Positionen gekommen. Und bisher hast du dich auch nicht darüber beschwert.
Lenk nicht ab: Findest du meine Kleider hässlich oder nicht? Verdienst du soviel wie Heubach oder nicht?
Zu viel Geld macht dumm und Heubach war dumm.
Im Gegensatz zu dir sah er wenigstens gut aus! Ein Mann mit ordentlichem Kragen und guten Manieren!
Sag bloß noch, dass ich keine Manieren hab!
Setz dich hin und iss dein Frühstück.
Mir ist es doch egal, mit was für dämlichen Kleidern du rumläufst.
Mir sind deine Hemden auch scheißegal.
Das machst du absichtlich, dass ich in so einem hässlichen Hemd rumlaufe.
Ja, das mach ich absichtlich. Hier, ziehs an.
Das ist das allerletzte.
Du hast es selbst gekauft.
Der Kaffee schmeckt nicht.
Ziehs schon an und mach, dass du fortkommst. Ein letztes Mal.
Ja, ja.




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© sascha preiß 2003