[18 GESCHICHTEN: IM KELLER]


Oma sagt, im Dorf ist jetzt wieder alles gut. Die Siedlung an der Ausfahrstraße mochte sie sowieso nicht. Die Männer mit den Geräten wären auch verschwunden. Sie sagt, die ganze Welt wäre Hals über Kopf in unser Dorf gekommen und die Gründe werden wir nie genau erfahren. Es begann damit, dass weiße Zwerge in die Neubausiedlung fielen. Vor drei Tagen fielen sie plötzlich herunter, am hellichten Tag, sagte sie. Der Bus fährt immer an der Siedlung vorbei, weil wir keine eigene Schule haben. Aber gesehen haben Rudi und ich nichts. Sie sagt, die waren auch nicht viele, vielleicht sieben, und außerdem so groß wie Zuckerwürfel. Ganz weiß. Was sollen denn das für Zwerge sein. Oma will jedenfalls keinen Kaffee mehr trinken, vorerst. Am nächsten Tag fuhr schon kein Bus mehr. Rudi kam ganz aufgeregt vorbei und redete viel von Außerirdischen. Sein Onkel wohnt da in der Siedlung, alles stünde Kopf wegen der Zwerge. Ich hab Rudi gar nicht verstanden, weil er so aufgeregt war. Er sagte, die außerirdischen Zwerge wären direkt bis in den Keller gefallen. Und der Kaffee sei durch die Löcher hinterhergelaufen. Oma hat nur den Kopf geschüttelt. Aber am Nachmittag war alles in heller Aufregung und das ganze Dorf gesperrt. Rudi sprach von einem astromischen Fenomen und sein Onkel hat völlig den Kopf verloren. Er wisse nicht, was mit ihm sei, ob er ihn wiedersähe. Rudi tat mir leid. Die Menschen mit den Geräten sperrten alle Straßen ab, wir durften nicht mehr raus. Oma war ganz durcheinander und saß in der Küche. Rudi und ich schlichen uns aber trotzdem bis zu den Neubaublocks ran. Nur viel konnten wir nicht sehen, weil alles war abgesperrt und die vielen Autos standen davor. Männer in weißen Anzügen gingen in die fünf Häuser, überall glitzerten die und hatten Helme auf. Das waren aber nicht die Außerirdischen, hat Rudi gesagt. Das wären die Astromen, Leute aus der Stadt. Die hexen was aus, sagte ich. Rudi sagte, die gucken eigentlich in den Himmel, aber nicht in Häuser, das sei ja das Besondere. Deswegen wären die hier, wegen den Zwergen vom Himmel, die bis in die Keller gefallen seien. Die Polizistin schickte uns wieder zu Oma zurück, wir sollten doch nicht draußen rumstreunen, wir seien doch keine Wölfe, das sei verboten worden. Unser Haus wurde dann auch bewacht, es war ganz schön gefährlich, sagt Oma. Rudi wusste von seinem Onkel, dass die Astromen Löcher in den Himmel gucken. Oma weiß auch nicht, warum die das dürfen. Und jetzt wären in den Häusern Löcher, von den Zwergen, die aussahen wie Zuckerwürfel. Rudis großer Bruder hatte mal Astromie in der Schule, der hat das uns erklärt. Die Löcher sind schwarz und die Zwerge sind weiß und klein wie Zuckerwürfel und so schwer wie eine Tonne. Wir haben verschiedene Tonnen. Und dass die Astromen immer nur in Schwarz und Weiß denken können, deswegen sähen die so aus. Oma sagt, dass die Astromie wahrscheinlich eine Erfindung des kalten Krieges ist und dass die Zwerge direkt in die Kaffeetassen gefallen sind. Rudi hat das auch nicht verstanden. Vielleicht wird aus heißem Kaffee kalter Krieg wegen den Männern mit den Geräten. So wie die aussahen, muss das gefährlich sein. Nachher rollten in unseren Straßen die Köpfe, das konnten wir ganz genau sehen. Rudi hat den von Opa Hempel erkannt. Ich hab mich unterm Bett versteckt und gebrochen. Rudi hat auch gebrochen. Oma musste auf Knien alles wieder sauber machen. Opa Hempel wohnte über Rudis Onkel. Es war alles ganz chaotisch. Oma sagt, niemand wusste nachher mehr, wo ihm der Kopf steht oder liegt. Und was wir mit den ganzen Köpfen machen sollen, die gerollt waren. In der Zeitung stand, dass die Köpfe ins Kino gerollt sind, aber was sie da machten, stand nicht da. Als sie bei uns vorbeikamen, sagten manche, wo sie denn ihren Kopf hätten. Die meisten riefen aber bloß aua, das Kopfsteinpflaster. Als die Neubaublocks zusammenstürzten, vorgestern war das, da war ein großer Lärm überall zu hören. Alles schrie durcheinander, dann war plötzlich alles wieder ruhig. Und aus dem Kino war auch nichts mehr zu hören. Gestern haben sie dann auch das ganze Kino abgerissen, das stand ja sowieso seit Jahren leer. Gebrannt hat es in der Nacht, da war nicht mehr viel übrig. Auch von den Köpfen nicht. Rudi hat aber jetzt keinen Onkel mehr. Aus den zusammengestürzten Neubaublocks haben sie ganz viele Leute geholt, alle hatten ihren Kopf verloren, weil die ins Kino gerollt waren. Und Löcher in den Füßen hatten die. Den Polizisten sind die Augen rausgefallen, zumindest manchen. Jetzt haben wir ganz viele blinde Polizisten im Dorf. Rudi kann ja bei uns wohnen. Die von der Eisenbahn wissen auch nicht, was sie jetzt machen sollen, weil alle ihre Arbeiter tot sind. Und die weißen Zwerge sind immer noch in den Kellern, und alles ist voller Kaffee. Zerbeulte Helme von den Astromen findet man da auch noch. Und kaputte Geräte. Die Augen von den Polizisten wurden auf den Feldern gefunden, mitten im Salat. Einer von der Polizei, der noch geradeaus gucken konnte, hat Rudi und mir und Oma das alles zu erklären versucht, aber sich bloß den Mund fusslig geredet. Der musste dann auch ins Krankenhaus. Rudis Bruder hat uns das dann nochmal erzählt. Opa Hempel hatte sich nämlich gerade Kaffee gekocht, mit einem Stückchen Kuchen, und der Zuckerwürfelzwerg plumpste durchs Dach in seine Tasse. Und dann auch noch durch seinen Fuß. Das gab eine schlimme Wunde, weil der ganze heiße Kaffee durch das Loch floss. Und dann ist der Zwerg, der eine Mülltonne wiegt, wie er gesagt hat, immer tiefer gefallen, durch jede Etage, und hat Löcher in die Tassen und Füße gemacht, durch die der Kaffee floss, den die Leute gerade trinken wollten, auch Rudis Onkel. Darüber haben sie dann den Kopf verloren, weil sie das nicht verstanden hatten. Auch wenn ich nicht verstehe, warum man gleich den Kopf verlieren muss, wenn man etwas nicht versteht. Aber wenn man den Kopf verliert, sagt Oma, dann verliert man auch den Überblick und dann guckt man nur noch so auf Fußhöhe herum. Und die meisten haben dann sogar durch die Füße hindurch geguckt wie durch eine Brille, wegen dem Zwergzuckerloch. Und da haben sie dann bis in den Keller gucken können, oder zumindest bis in die Etage drunter. Und Opa Hempel guckte auf den Halsstumpf von Rudis Onkel und auf seinen Hinterkopf, der direkt auf seinem Fuß war, weil auch Rudis Onkel durch das Stück Zuckerwürfel komplett den Kopf verloren hatte und so weiter, alle vier Etagen bis in den Keller, wo in einer tiefen Delle der weiße Zwerg liegt und sich nicht bewegt, weil er den ganzen Kaffee abbekommen hat. Ich hab dann gefragt, wie man einen verlorenen Kopf wieder aufbekommt, weil das doch kein Hut ist. Aber Oma fiel nur das Gleichnis vom verlorenen Sohn ein, ein Gleichnis von einem verlorenen Kopf hat sie aber noch nie gehört. Was ist ein Gleichnis. Ich soll, wenn der Bus wieder fährt, in der Schule mal nachfragen oder einen unserer Religiösen, hat Oma gesagt. In einem christlichen Abendland muss es doch wen geben, der sich mit sowas auskennt. Rudi will nach dem Begräbnis seines Onkels Astromie lernen. Die verlorenen Köpfe haben aber dann rausgefunden, wie sie sich bewegen können. Und zwar mit dem Mund, was schon fast wie Laufen ist oder so eine Bewegung, wie sie Raupen machen, wenn sie sich mit Mund, Nase, Kinn durch die Wohnung robben, gelegentlich Schwung holen, indem sie zur Seite kippen und ein bisschen rumrollern, wenn sie um die Kurve wollen. Die Köpfe wollten dann ein bisschen im Dorf herumspazieren, hat Rudis Bruder gesagt, aber die Klinken waren zu hoch. Deshalb rollerten sie halt nur durch die Wohnungen und die Restkörper hatten keine Ahnung, wo sie sich befanden, weil sie völlig den Überblick verloren hatten. Rudis kopfloser Onkel ist dabei mehrfach gegen Stühle, Schränke, Wände gerannt und hat sich den anderen Fuß an den Scherben der kaputten Kaffeetasse auch noch zerstört. Deshalb sei er sicherheitshalber einfach bloß umgefallen, in der Hoffnung, weich zu landen, was ihm nur ein bisschen gelang, aber immerhin, wäre sein Kopf dagewesen, hätte er ihn sich jetzt gestoßen. Aber weil Rudis Onkel von dem Kaffee aufs Klo musste, ging der Kopf hin und stieß dabei Schmerzensschreie aus und rief dann um Hilfe, aber es kamen nur Astromen in glitzernden Anzügen und Helmen, weil die von den weißen Zwergen erfahren hatten. Und die sperrten alles ab. Rudis Onkel hat dann, weil der Kopf auf dem Klo war, sich ganz vollgepinkelt. Dann hat es draußen an der Wohnungstür geklopft, so ein dumpfes Wummern, denn die Köpfe der anderen hatten einen Weg nach draußen gefunden, mit dem Kopf durch die Wand, und wollten zum Spaziergang Rudis Onkels Kopf einladen, der kommt ausm Klo raus, kullert über Rudis Onkel hinweg, der in seiner Pisse liegt, während der Kopf Anlauf für das Durchschlagen der Tür nimmt und sie mit lautem Krach durchbricht, bei den anderen landet, wobei der Kopf von Opa Hempel pausenlos plappert, wo er denn nur seinen Kopf hätte. Und so sind sie dann auch durch die Straßen gerollt bis ins Kino. Dort muss jemand versucht haben, eine Zigarette zu rauchen, weshalb alles abbrannte. Und als dann die Häuser wegen der Löcher und Zwerge zusammenstürzten, waren alle sofort tot. Die Astromen und Köpfe waren am Boden zerstört. Oma sagt, alles ist jetzt wieder gut. Ich trau mich aber nicht.




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© sascha preiß 2003