[18 GESCHICHTEN: DER PAPAGEI]


Er war äußerst unzufrieden mit mir. Hackte auf das Manuskript ein, blätterte darin herum und rief bedauernd: Das ist nicht gut. Warf es mir zu und sagte: Ich weiß, dass Sie das besser können.

Wusste ich auch, aber es gelang mir nicht, die Studie, wie ich sie im Kopf hatte, aufs Papier zu kippen, wie ich immer sagte. Dass mein Lektor sie in diesem Zustand nicht annehmen würde, war mir von vornherein klar. Ich hatte gehofft, er würde Mitleid walten lassen. Irrtum.

Ich begab mich in eine Zoohandlung, wie ich es immer tat, wenn ich Zerstreuung brauchte. Fische in Aquarien schwimmen zu sehen beruhigte mich außerordentlich und war hier außerdem kostenlos. Eine zeitlang sah ich den Guppies, Neonsalmlern und Goldfischen zu, dann krächzte hinter mir eine Stimme: Das ist nicht gut. Ein blauer Papagei fixierte mich durch die Gitterstäbe seines Käfigs und schien auf meine Armbanduhr zu deuten. Die Verkäuferin lächelte mich an: Er scheint Sie zu mögen. Ich hastete nach draußen, nach hause.

Ich weiß nicht, wie es dem Tier gelang, doch als ich die Tür öffnete, flog der Papagei in meine Wohnung und krächzte: Das ist nicht gut. Recht hatte er. Er setzte sich auf meinen Schreibtisch und sah mich aufmerksam, sogar kopfschüttelnd an. Ein Anruf in der Zoohandlung ergab, dass kein Tier fehlte. Die Verkäuferin schien ihr Lächeln auch am Telefon nicht verloren zu haben und fragte fröhlich, ob ich den Vogel haben wollte, er sei wirklich preiswert und sehr sprachbegabt. Der Papagei sprang auf meine Schulter und rief: Das ist nicht gut. Ich legte auf und starrte das Tier an. Es schien mich anzulächeln wie die Verkäuferin, schob seinen Kopf näher an meinen und schaute mir auf die Lippen. Ich streckte ihm die Zunge raus. Der Vogel flog auf, flatterte wild um meinen Kopf, krakeelte und trieb mich durch die Wohnung.

An eine Überarbeitung des Manuskripts war nicht zu denken. Der Papagei wich nicht von meiner Seite. Wollte ich ihn fangen, flog er auf und krallte sich in die Decke, um von dort seinen Satz zu krächzen, mich zu beäugen und herab zu scheißen. Ich versuchte, ihn irgendwie loszuwerden, aber wie wird man ein Tier los, dass man offenbar nicht besitzt? Ich schrie ihn an, sein Maul zu halten, woraufhin er nur noch lauter: Ich weiß, dass Sie das besser können! krächzte, zog immer wieder in ein anderes Zimmer um, in das er mir kreischend folgte, verriegelte die Türen, aber er war immer schon da, schleuderte Teller, Töpfe, Messer, Bücher, Stühle nach ihm, denen er auswich, bewarf ihn mit spitzen Stiften, die er im Schnabel fing und zerkaute.

Auch mit dem Besen oder einem Käscher war ihm nicht beizukommen: Er schnappte sich den Stiel und hackte ihn zu Bruch. Nirgendwo war ich vor ihm sicher, unterm Bett nicht, in keinen Schränken, nirgends. Die Studie lag aufgeschlagen und unverändert, abgesehen von Kotflecken. Das zerkleinerte Holz eines Bleistifts krümelte von der Decke: Das ist nicht gut. Er schien mitleidig zu lächeln. Ich floh in einen Park, schloss zweimal ab, sah den Menschen beim Entspannen zu und mich alle paar Sekunden nach einem blauen Papagei um. Ich wünschte, vor einem Aquarium zu stehen, Fischen zusehen zu können oder selber einer zu sein. Ich stürzte in eine Kneipe, um mich zu ertränken. Viel Zeit blieb nicht mehr für die Korrekturen. Und daheim machte mir ein verrücktes Tier die Arbeit unmöglich. Ich trank, was meine Geldbörse hergab. Ich schlief halbwegs beruhigt ein, in der Küche der Kneipe hatte die nette Wirtin mir eine Matraze hingelegt, das Tier wusste ich daheim in meinem Arbeitszimmer. Er weckte mich mit seinen Krallen, zwickte mich am Ohr und sagte beinah zärtlich: Das ist nicht gut. Ich machte, dass ich davon kam, kreuz und quer durch die Stadt. Der Papagei immer über mir.

Die Tage rannen mir durch die Finger, ohne dass ich etwas zustande gebracht hätte. Notgedrungen versuchte ich noch einmal, die Studie zu überarbeiten. Ich besorgte Gift, ohne Erfolg. Sein blaues Gefieder glänzte wie poliert. Zornig schleuderte ich die Seiten meiner unfertigen Arbeit nach ihm, an denen er genüsslich kaute, kaufte eine Schreckschusspistole, versuchte ihn mit leckeren Knabbereien in einen Käfig zu locken: Der Papagei flatterte fröhlich durch die zerstörte Wohnung, schiss überall hin und rief seinen Satz. Ich gab auf.

Heute ist Deadline. Ich habe mich in ein öffentliches Klo eingeschlossen und es verbarrikadiert, so gut es geht. Der Papagei hämmert an die Tür, gleich wird er auch diesen Raum erobert haben. Die Pistole ist geladen. Ich schreibe diese Zeilen in der Hoffnung, jemand möge sie finden und mich verstehen.




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© sascha preiß 2003