[18 GESCHICHTEN: DAS PASSBILD]


Svensson hatte die schöne Idee, Filmstar zu sein. Allerdings hasste er Hauptrollen. Sein Metier waren die Nebenrollen, die unauffälligen und zweitrangigen Gestalten, die einen ganzen Film scheitern oder gelingen lassen konnten. Hauptrollen waren langweilig, ohne jedes Geheimnis. Nebenrollen waren viel aufregender. Und ungefährlicher. Svensson hatte das schon sehr früh festgestellt, als er im Vorschulalter mit den Jungs von Nebenan die Western nachspielte, die tags zuvor im Fernsehen gelaufen waren. Während sich die Jungs immer blutig prügelten, wer der Gute und wer der Böse, wer Indianer und wer Sheriff sein durfte, übernahm Svensson alle übrigen Rollen und blieb von blauen Augen verschont. Dass er dafür von allen anderen Jungs ausgelacht wurde, nahm er achselzuckend zur Kenntnis. Svensson wusste nämlich, dass ihn schon lange jemand beobachtet hatte oder doch zumindest auf der Suche nach ihm war, nach einem der besten, nein dem besten Nebenrollendarsteller der Filmgeschichte. Das hatte er im Fernsehen gesehen, bei der Sendung mit der Maus. Da wurde ein Junge eine ganze Woche lang mit der Kamera gefilmt, was der so konnte und was der am liebsten machte. Das war Svensson. Er ging zur Schule und spürte die Kamera im Rücken. Auch während der Abiturklausuren konnte er die Kamera fühlen. Dann setzte er sich zuhause vor den Fernseher und sah sich Nebenrollen an, die er für sich nachspielte. Ganz oft war er im Kino anzutreffen. Hitchkock liebte er. Überhaupt Krimis. Fantasyfilme. Comics. Manchmal auch französische Liebesgeschichten. Dann ging er immer ganz beschwingt durch die Straßen und war ganz elegante Nebenfigur. Eines Tages, mitten im Studium der Filmwissenschaften, sah Svensson die Nebenrolle seines Lebens: der Passbildautomatenmann. Svensson hatte noch keine Freundin, und er wusste: diese Rolle war der Schlüssel zu allem. Sein ganzes Leben würde sich von Grund auf ändern. Er sah sich den Film zehnzwanzig Mal an, konnte jede Geste, jeden Blick, Worte brauchte er nicht lernen. Er sah seinen Namen schon im Abspann durchlaufen, an zehnter, elfter Stelle. Und dann ging Svensson los, auf der Suche nach den Passbildautomaten in seiner Stadt. Der Plan war folgendermaßen: Zuerst alle Automaten auf der Karte verzeichnen, dann sie auf ihre Tauglichkeit prüfen - und am Ende stand automatisch eine wunderbare Frau, die eine Einzige. So ging zwar der Film nicht, aber Svenssons Film würde so gehen. Auch wenn er dann im letzten Moment zur Hauptfigur würde, das nahm er achselzuckend zur Kenntnis. Wenn es gelingt, und daran war kein Zweifel, würde er zum richtigen Film gehen. Svensson suchte, verzeichnete, fand knapp 150 Passbildautomaten, die er alle testen durfte. Ganz im Hintergrund, nur die eine Einzige würde es bemerken. Er setzte sich hinein, zog den Vorhang zu, ließ sich fotografieren, wartete auf die Passbilder, schaute sie kurz an, zerriss sie, schob sie unter den Automat und ging zum nächsten. Er wusste, er würde Zeit und Geld in seine Rolle investieren müssen, wenn es ein Erfolg werden sollte. Alle guten Filme waren aufwändig produziert. Wie lange er sich fotografieren lassen musste, konnte Svensson nicht abschätzen, aber so lange es dauerte, umsonst würde es keinesfalls sein. Immer mal wieder ging er an bereits getesteten Automaten vorbei und sah nach, ob schon jemand, die eine Einzige, seine Bilder gefunden hätte, um sie in ihr geheimes Album zu kleben. Tatsächlich waren eines Tages bei einigen Passbildautomaten die Bilder verschwunden. Svensson war ganz außer sich vor Vorfreude. Aber er durfte es sich nicht anmerken lassen, denn als Nebenrolle des Passbildautomatenmannes hatte er von all dem nichts zu wissen. Er fotografierte sich weiter, ohne ahnen zu dürfen, dass seine Gesuchte ihm bereits auf der Fährte war. Er durfte sich nicht anmerken lassen, dass er aufgeregt war, sobald er in die Nähe eines Automaten kam. Er durfte nicht selbst nach ihr suchen. Er musste ganz Nebenrolle bleiben. Er sah sich den Film zu hause immer und immer wieder an, ob er auch alles richtig machte. Seine Kommilitonen besuchte er kaum noch. Das Geld, das sein Vater ihm zum Studieren schickte, gab er fast nur noch für Passbilder aus. Als er einmal eine Putzfrau an einem der Automaten seine Bilder wegkehren sah, nahm er es achselzuckend zur Kenntnis. Das war das Berufsrisiko, das seine Nebenrolle mit sich brachte. Dann sah er eines Tages das Bild einer jungen Frau im Ausgabefach liegen. Svensson wusste sofort, dass dies die eine Einzige war, die ihn suchte. Er steckte es so in seine Brieftasche, dass er immer einen süchtigen Blick darauf werfen konnte, wenn er fotografiert wurde. Svensson fotografierte sich häufiger denn je. Immer wieder verschwanden seine Passbilder unter den Automaten. Immer wieder sah er nach, ob sie schon gefunden waren. Immer wieder legte er dann neue hin. Seine Erregung begann abzuklingen. Er fand es ärgerlich, dass die eine Einzige, deren Foto er besaß, so lange auf sich warten ließ. Dass sie sich nicht zeigte. Er gab nicht auf. Fotografierte sich weiter. Setzte sein ganzes Vermögen für sie ein. Verpfändete seine Möbel. Aß seltener. Ruinierte sich für die Rolle. Er wusste, dass ihm das hoch angerechnet werden würde. Er lächelte mit aller Kraft in die Automatenkamera. Er hielt seine Nebenrolle bis zum Schluss durch, starb mit ihrem Passbild in der Hand. Dass der arme Svensson nie entdeckt wurde, nehmen wir achselzuckend zur Kenntnis.




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© sascha preiß 2003