[18 GESCHICHTEN: HERR SCHWARZ]


Das ist Herr Schwarz. Herr Schwarz steht und schaut. Sehr entschlossen steht er da, sehr konzentriert schaut er in die Welt. Er passt auf, dass nichts passiert, da wo er steht. Ein paar Schritte neben ihm steht ein anderer. Diesen kennt er gut, diesen kann er nicht gut leiden. Diesen schaut er besonders konzentriert an. Dieser schaut Herrn Schwarz an, nicht sehr interessiert, nicht sehr grimmig, eher gelangweilt. Herr Schwarz verspürt kein Bedürfnis, sich mit diesem zu unterhalten. Dieser interessiert ihn nicht. Er passt nur auf, dass dieser ihm nicht zu nahe kommt. So steht er und schaut. Viel zu tun hat Herr Schwarz nicht. Hunger hat er. Und auch ein wenig Angst. Weil er weiß, was passiert, wenn etwas passiert. Dann ist es mit seiner Ruhe vorbei. Aber zum Glück für Herrn Schwarz sieht er, dass es nicht so aussieht, als ob demnächst etwas passieren würde. So könnte er sich eigentlich hinsetzen und etwas essen. Das, was ihm seine liebe Frau eingepackt hat als Verpflegung, damit er auf seinem Posten nicht verhungert. Doch solange nichts entschieden ist, solange wird er nichts essen. Und sich schon gar nicht setzen. Dazu ist er fest entschlossen. Darüber ist er mit sich zufrieden. Sonst sähe es ja so aus, als sei er nicht gewissenhaft bei der Arbeit. Und Herr Schwarz kann Gewissenlosigkeit nicht leiden. Er hat die Arme verschränkt und wartet ab. Bis auf diesen ein paar Schritte neben ihm ist weit und breit niemand zu sehen. Der neben ihm wacht und wartet auch ab, wie Herr Schwarz. Es wird schon noch etwas passieren heute. Danach sieht aus, ja. Es ist ein heller Tag, die Sonne steht hoch über dem freien Feld, auf dem sie beide stehen, Herr Schwarz und der andere, ein paar wenige Vögel sind zu hören, ein paar wenige Fliegen summen. Ein laues Lüftchen geht, in dem etwas liegt. Was es ist, das wird sich zeigen. Herr Schwarz schwitzt. Mit dem Taschentuch reibt er sich kurz über den Nacken. Zum Glück ist es noch ruhig. Und das Lüftchen ist eigentlich ganz angenehm. Er kennt ganz andere Tage, da ging es hoch her, da sah das alles hier schon anders aus. Da war hier richtig was los in der Ebene. Ganz weit dahinten, da wo die Türme der Stadt zu sehen sind, da möchte er jetzt nicht sein. Da ist es jetzt richtig ungemütlich. Im Vergleich dazu ist das hier gar nichts, beinah unbedeutend. Aber das sieht nur so aus. Herr Schwarz weiß das. Er weiß vor allem, dass er hier gebraucht wird. Dass sein Posten und was er zu tun hat wichtig ist. Im Wissen um die Wichtigkeit seiner Aufgabe richtet er sich etwas auf. Er wächst ein paar Zentimeter. Der andere da neben ihm sieht schon ganz müde aus vom vielen Warten und Beobachten. Soll er ruhig. Dieser könnte ja auch einfach nach hause gehen, was will der denn hier. Herr Schwarz bekommt Lust, diesen ein bisschen zu ärgern, warum er denn nicht einfach heimginge, einer am Platz genüge doch. He du, könnte er rufen, die Herrschaften haben heute wieder besonders viel unter sich auszumachen, ob er nicht einmal nachsehen wolle, worum es gehe. Oder ob er nicht heimgehen wolle, es sehe doch so aus, als ob sie hier nicht mehr gebraucht würden. Aber er gibt dem Verlangen nicht nach. Was die Herrschaften mit sich auszutragen haben dahinten, ist ihm eigentlich ganz schön egal. Letztlich versteht er das sowieso nicht. Und dieser da neben ihm sieht aus, als ob der das noch viel weniger verstünde. Am besten macht er sich darüber keine Gedanken. Zumal es irgendwie immer das selbe ist. Nein, die Sorgen der Herrschaften versteht Herr Schwarz ganz und gar nicht. Er findet es müßig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Da schaut er doch lieber ins Land und hört den Vögeln beim Singen zu. Das ist angenehmer und macht keine Kopfschmerzen. Die Herrschaften, findet Herr Schwarz, sind eigentlich lächerlich, immerzu müssen sie streiten. Zumal an einem so schönen Tag wie heute. Was könnte man nicht alles tun bei diesem Wetter. Sich einfach die Sonne auf den Bauch scheinen lassen, zum Beispiel. Der Bauch von Herrn Schwarz grunzt bestätigend. Er könnte allerdings auch vor Hunger geknurrt haben. Herr Schwarz hat zwei schöne Brote als Verpflegung dabei. Eins davon könnte er jetzt essen. Es ist sehr warm. Herr Schwarz fährt sich mit dem Taschentuch über den Nacken. Aber das mit dem Hunger hat Herr Schwarz für sich bereits geklärt. Erst die Arbeit. Und wenn sie so geruhsam ist wie jetzt, dann ist sie selbst auch ein Vergnügen, in gewisser Hinsicht. Herr Schwarz schaut also den Tag an und fühlt sich wohl. Er sieht sich seinen müden Nebenmann an und ist belustigt. Was würde dieser wohl tun, wenn er jetzt - Der Gedanke gefällt Herr Schwarz. Er wiegt ihn etwas hin und her. Das wäre eine Überlegung wert. Und auf jeden Fall interessant zu beobachten. Was würde der wohl tun. Wenn er jetzt einfach - warum nicht. Ja, das könnte er mal probieren. Herr Schwarz setzt einen entschlossenen, majestätischen Blick auf und macht kühn einen Schritt in des Nebenmannes Richtung. Der schaut kurz auf und - schweigt. Sieht dabei sogar traurig aus, irgendwie. Herr Schwarz gibt sich damit nicht zufrieden. Na, sagt er sehr aufrecht, ist doch ein schöner Tag, was? Der Nebenmann schaut irgendwohin ins Weite und macht: Hm, wozu er irgendwie gelangweilt nickt. Herr Schwarz wartet ab, ob noch etwas folgt, doch dem scheint nicht so. Ja, das ist es, antwortet sich Herr Schwarz selbst, wenn dieser da neben ihm nicht will. Er hatte mit mehr Elan gerechnet. Nichts los, was?, gibt er diesem müden Kerl noch eine Chance. Hm, macht der wieder nur und nickt in die selbe Richtung wie eben. Hm, macht auch Herr Schwarz nach einer Pause, der das Gespräch damit für beendet ansieht. Ist also gar nichts passiert. Vielleicht ist das schade, aber eigentlich auch wieder nicht. Er schaut sich seinen Nebenmann genauer an, schlampig angezogen ist der. Schon alt, ergraut, geradezu blass, und keine gute Körperhaltung. Schaut immer in die eine Richtung, als wäre da etwas Besonderes. Herr Schwarz wendet sich ab und schaut wieder den Tag an, die Sonne, die Türme da hinten, die Weite. Allerdings, gibt der müde Nebenmann plötzlich von sich und es klingt, als sei der Satz noch nicht zu ende. Doch es folgt nichts. Herr Schwarz ist kurz verwirrt. Allerdings? Der Nebenmann antwortet nichts, schaut statt dessen in seine unbestimmte Richtung. Herr Schwarz schaut in die gleiche Richtung. Hm, denkt er sich, das sieht auch nicht so spannend aus. Allerdings, und Herr Schwarz schaut noch einmal genauer hin, allerdings sieht es so aus, als könnte es gleich spannend werden, eigentlich sogar ungemütlich. Oh ja, oh nein, das sieht nicht gut aus. Herr Schwarz fährt sich noch einmal mit dem Taschentuch über den Nacken. Der andere wirkt noch immer müde, auch wenn er jetzt ein wenig zu lächeln scheint. Das gefällt Herrn Schwarz überhaupt nicht. Er gibt sich Mühe, Haltung zu wahren. Jetzt also kommt es drauf an, das war abzusehen. Der Tag würde so nicht bleiben. Was auch immer passieren wird, Entschlossenheit zeigen. Dass er das kann, hat er eben an seinem Nebenmann bewiesen. Standhaft bleiben, nur keine Schwäche zeigen. Er spürt einen Lufthauch. Und, das hatte Herr Schwarz befürchtet, schon steht er nicht mehr allein da. Das ist so rasch gegangen, innerhalb von Sekunden hat sich die ganze Situation verändert, dass er gar nicht richtig folgen konnte. Davor hat er immer Angst gehabt. Dass etwas passieren würde, dem er nicht würde folgen können, das er nicht versteht. Die hohen Herrschaften sind in der Ebene angekommen, zumindest eine von ihnen. Und sie sieht überhaupt nicht zum Lachen aus. Abgesehen von dem einige Schritte entfernten Nebenmann ist da jetzt direkt neben Herrn Schwarz diese große Frau aufgetaucht. Von ganz weit hinten kam sie herangeflogen, von da, wo der Nebenmann irgendwie gelangweilt hingeschaut hat. In ihrem makellosen Kleid steht sie da, beinah doppelt so groß wie Herr Schwarz. Er hat allen Mut zusammengenommen und steht so aufrecht er kann. Schielt zu ihr hinauf, was sie tun wird. Sie scheint ihn nicht weiter zu beachten, starrt auf die entfernte Stadt. Herr Schwarz fühlt sich überhaupt nicht wohl. Seinen Nebenmann scheint das Auftauchen der großen Dame überhaupt nicht zu stören, der schaut weiter gelangweilt drein. Dein Glück, nochmal drumrum gekommen, sagt die große Dame neben Herrn Schwarz, der zusammenzuckt, deine Zeit war schon abgelaufen. Herr Schwarz hat sich unter ihrer Stimme abgeduckt. Die große Dame hat sich ihm zugewendet und schaut ausgesprochen grimmig drein. Sie fixiert ihn von oben herab und er weiß nicht, wohin er den Blick wenden kann, so dass er sich ängstlich auf die Füße starrt. Glück gehabt, wiederholt die Frau mit kalter Stimme, es klingt beinah gütig. Hmhm, hört er die gelangweilte Stimme des Nebenmannes, das klang wie eine Zustimmung. Herr Schwarz lunst diesen Kerl an. Der ist nach wie vor so träge, schaut nicht auf, blickt die unheimliche Frau nicht an, schaut weiter in die Ferne. Ein alter Hase mit ganz schön viel Erfahrung. Herr Schwarz ist zornig und zugleich neidisch auf diesen Kerl. Er würde ihn am liebsten umstoßen in seiner blöden Trägheit, wie er da steht. Noch lieber aber möchte er mit ihm tauschen. Dann würde der jetzt zittern, und das täte ihm mal gut. Aber er muss sich konzentrieren, nichts Falsches zu tun. Herr Schwarz spürt einen kalten Windhauch, dass er überall Gänsehaut bekommt, er schwitzt stark und traut sich nicht, zum Taschentuch zu greifen. Nur nicht klein beigeben, ermahnt er sich. Oft genug hat er solche und ähnliche Situationen schon erlebt oder im Kopf durchgespielt. Dass er immer noch und immer wieder Angst hat, verzeiht er sich eigentlich nicht, aber was soll er sich jetzt dafür strafen, er kann nur hoffen, dass die Frau bald wieder verschwindet. Er schwört, sich nie wieder auf diese Arbeit einzulassen. Falls noch einmal so ein Auftrag kommt, wird er ihn ganz gewiss ablehnen, und sich besser seiner Frau und seinen Kindern widmen. Man weiß nie, ob man hier lebend rauskommt, und augenblicklich sieht es nicht gut für ihn aus. Und dann schwirrt auch noch diese neugierige Fliege um seinen Kopf und versucht, in sein Ohr zu krabbeln. Herr Schwarz versucht, sie ganz vorsichtig und unmerklich mit minimalen Kopfbewegungen davon abzuhalten, aber die Fliege lässt sich nicht beirren. Entspann dich, gibt der träge Nebenmann von sich. Wie der nur so träge sein kann, verdammt. Herrn Schwarz schwindelt es vor Konzentration. Warum ausgerechnet er, warum ausgerechnet dieser blöde Posten, und dann noch mit diesem blöden Kerl. Sie ist weg, sagt dieser blöde Kerl weiter. Die Fliege läuft über die Ohrmuschel, dass es unerträglich kitzelt. Durchhalten, Herr Schwarz ballt seine Hände, dass die Nägel in die Handflächen schneiden. He, wendet der Nebenmann sich ihm zu, sie ist weg, entspann dich. Herr Schwarz schaut ihm in die Augen, ein Scherz? Er soll jetzt keine Scherze mit ihm machen. Aber dieser Kerl schaut schon wieder in die unbestimmte Richtung ganz da hinten, aus dem wird er nicht schlau. Er hat keine andere Wahl. Er muss es probieren, er muss seine Angst überwinden. Die Fliege surrt erneut ums Ohr und Herr Schwarz weiß nicht, was schwerer auszuhalten ist, das Surren jetzt oder das Kitzeln davor. Aber daran verschwendet er keinen Gedanken mehr, sondern dreht ruckartig seinen Kopf der Dame zu und wischt kurz mit der Hand das belagerte Ohr frei. Nichts. Freies Feld. So schnell, wie die unheimliche Frau gekommen ist, ist sie wieder verschwunden. Herr Schwarz blickt in alle Richtungen, aber nirgendwo eine Spur, die Frau ist weg, tatsächlich. Herr Schwarz atmet erleichtert durch. Hmhm, macht der Nebenmann. Das heißt, es war kein Scherz. Das hätte der doch sagen können, verdammt. Herr Schwarz richtet sich auf. Schöner Tag heute, sagt er halb zu sich, halb zu diesem da, schöner Tag, ja. Er richtet sich wieder her, zupft an seinen Kleidern, wischt mit dem Taschentuch das Gesicht, schaut in die Sonne, schaut in die Ferne, schaut den Nebenmann an. Der nickt bloß irgendwie gelangweilt, dann sagt er: Hmhm, das wars, und geht ganz langsam davon. Herr Schwarz schaut ihm verständnislos hinterher. Was war was, fragt er. Vorbei, sagt der andere, nach hause, und schon ist dieser träge Kerl weg. Und wer hat - ruft Herr Schwarz diesem noch hinterher, aber der hört ihn nicht. Herr Schwarz schaut nach ganz da hinten und sieht über den Türmen der Stadt - die Fahne. Die weiße. Ach, so also, murmelt er betrübt, das bedeutet - vorbei, tatsächlich, ja. Das wird Revanche geben, wie immer. Er wendet sich traurig ab, geht nachdenklich vom Feld und greift knurrenden Magens zur Verpflegung.




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© sascha preiß 2003