[18 GESCHICHTEN: ER KOMMT NICHT]


Die Nacht kennt den Wind. Besser als alles.

Ist mit ihm aufgewachsen... unter ihrem Mantel ordnet er die Dinge neu....... er zieht entlang... treibt Tiere, Blätter, Steine... schleppt Bäume... zerreißt Stromkabel, entwurzelt Masten....... bricht in Türme und Häuser... Wütet in der Welt....... schwerer Regen kracht, spült Menschen und Maschinen durch aufbrechende Straßen... Hunde und Katzen wirbeln umher....... Der Asphalt kräuselt sich, Schienen winden sich aus ihren Betten... Glassplitter reißen fliehende Leiber auf... Dachziegel rasen in der Luft, Fassaden stürzen... die Erde bricht vielerorts auseinander....... Blitze kratzen, setzen Stadtviertel in Brand... ein einziges Kreischen, Donnern, Toben, Wüten... die Stadt wird umgepflügt....... Fast schlafe ich ein.

Ich schwitze. Bin träge, grau vor Müdigkeit. Habe mich an diesen Tisch getragen. Ringsum glitzert die Stadt. Lässigkeit unter saftigen Bäumen, Durst, Lachen, Schweiß. Ein gewöhnlicher Tag eines gewöhnlich warmen Sommers. Augenblicklich kann ich einschlafen. Trinke ich etwas Kühles, erwarte ich, dass durch den Kopf ein angenehmer Wind geht. Tatsächlich wird mein Kopf noch schwerer, müder, träger, grauer. Sehe ich den Menschen und Autos nach, erwarte ich, dass mich ein Schwindel befällt. Geschieht nicht. Mich lullt ein Musiker mit einem Liedchen ein. Komm, Wind, blas aus den Geist aus all dem da, fick das Land, bis es klirrt. Auf gehts. Ein Echo des Sturms, der über Berlin angekündigt ist. Bis zu 180km/h, Regen, Hagel, deftiges Gewitter. Fern lässt sich eine Wolke erkennen.

Was erwarte ich für einen schönen Sturm. Endgültig darf er sein. Ganz dem Mythos verpflichtet. An dem man sich und überhaupt die Welt aufhängen kann, an den Regenfäden. Dass er alles wäscht und rein und nackt und gütig hinterlässt.
Sowas.

Die Beobachtungen sind stets die gleichen, die sich in solchen Straßencafés machen lassen. Die Reichen, die Armen, die Jungen, die Alten, die Glücklichen, die Versehrten, die Spendierer, die Bettler, die Fröhlichen, die Müßigen, etc... Diese Dinge sind nicht zum Beschreiben da. Nicht hinsetzen und beobachten und annehmen, man würde die Stadt in ihren Facetten erkennen. Bin viel zu müde für Facetten. Welche denn: die zierliche Blonde mit dem Pitbull. Das ist alles für den Regen. Ich guck nicht hin, was soll da schon sein, Stadt, Sommer, Zeug.
Das lass ich alles dem Sturm zum bearbeiten. Dass er die schönen Unterschiede und Grenzen auflöst.

Eine vom Wetterdienst herausgegebene Sturmwarnung nimmt allerdings eine ganze Menge der mythischen Kraft. Die man jedem Waschputzmittel zugesteht, Meister Propper. Hübsch illustriert säubern die Tabs und Perls und Pulver und Elexiere die Welt, wie es nur ein Regen konnte. Der Sturm herrscht in den Maschinen. Heute ist er angekündigt, die Stadt zu überfallen. Denkt man an Wasser und die mythische Kraft des Elements, bläht sich die Sprache. Eine Form von Trägheit. Herrscher, Kraft, Überfall, Niederlage, Reinheit. Die Dinge sind geduldig. Je mehr Wasser fallen wird, desto schlammiger werden die Straßen. Gebe ich diesem kommenden Sturm eine Chance, sich zu behaupten. Der vom letzten Jahr konnte ein bisschen was durcheinander wirbeln und einige Leben wie Brände löschen. Das Menschenleben ist eine Gefahr für die Elemente. Die Mythen sind so einfach. Und so falsch.

Die Wolken rücken näher. Es wird dunkler. Wind erhebt sich zaghaft. Eigentlich sähe das bedrohlich aus. Aber wir sind ja gewarnt worden. Keine Angst also. Niemand stört sich an der Kulisse. Im Gegenteil, es kommen mehr Leute und setzen sich, schauen sich das Wetter an. Und trinken und lachen und schwitzen wie überall und immer. Schon blitzt und donnert es fern. Das Gewitter, von dem ich mir so viel verspreche, rückt allmählich in greifbare Nähe. Es ist schon wunderbar dunkel geworden, das gehört zum Effekt. Der Wind wirbelt Staub auf, man kann ihn auf den Bieren sehen und im Mund schmecken. Gewöhnlicher Straßenstaub. Manch einer hält sich die Hand vor die Augen oder seinen Hut fest. Sanfter Regen fällt.

Erleichtert quittieren wir im Café das angenehme Geräusch auf der Jalousie, manche rücken sich weiter auf die Straße ins stärker werdende, kostenlose Bad. Breiten die Arme aus, hierher bittsehr. Je dunkler und tiefer die Wolken sind, desto mehr Kerzen mit Windschutz werden auf die Tische gestellt. Es ist Nacht, señorita, singt der Musiker und hat recht. Eine heitere Stimmung, während sich der Sturm alle Mühe gibt, imposant zu sein. Der Regen fällt dichter, schwerer, große Tropfen, große Mengen. Den vom Wind durch die Straßen getriebenen Sand drückt er zurück in die Rinnsteine, bleib wo du bist. Das ist die ganze Herrlichkeit.

Der Musiker ermahnt den Strum, volle Größe anzunehmen, volle Kraft voraus. Dass der endgültige Regen falle. Die Sündenflut mit den riesen Tropfen. Die Megaperls.

Die Kerzen flackern und unter den Bäumen ist etwas Bewegung. Junge Menschen tanzen auf den Straßen, Hunde und Kinder springen in Pfützen, der Musiker singt zum Takt des Donners, im Licht der wenigen Blitze. Man könnte dem Beleuchtungsmeister mit Fotoapparaten nachhelfen. Die Natur ist eine Disco. Das Bier schmeckt schon nicht mehr so nach Staub. Feuerzeuge leuchten hinter Händen auf. Es ist angenehm, wie es ist. Ich freue mich, dass auch ich ein wenig nasse Schuhe bekomme. So kann ich beweisen, dass ich mittendrin war, statt nur dabei.

Die himmlische Herrlichkeit hält wenige Minuten, dann tröpfelt es sich aus. Die kurze Nacht am Mittag verzieht sich wieder. Der warme Asphalt dampft ein bisschen. Manche frei gebliebenen Stühle werden abgewischt oder auch nicht. Kinder hopsen noch immer in den frischen Pfützen. Es wird heller, hinter den Häusern scheint bereits wieder die Sonne. Alle Aufregung umsonst. Die Tänze ebben ab.

Der Musiker ist enttäuscht, dass sein tiefes Flehen so wenig Wirkung gezeigt hat, und lässt sich vom Publikum auszahlen. Biere werden nachbestellt.

So wird das nichts. Ich hadere mit dem Wetter, mit den Mythen. Der schöne große Sturm kommt einfach nicht, es könnte mich deprimieren. Die ganze geblähte Sprache fällt in sich zusammen. Ich hatte mich so gefreut.

An meiner Hose ist Wasser hinauf gespritzt, Staub klebt daran fest, etwas schlammig schaut es aus. Ich werde sie waschen müssen. Keine Ahnung, ob ich das dem Gewitter als Verdienst anrechnen darf. Wahrscheinlich wird irgendwer heute abend anrufen und fragen, ob ich den tollen Sturm bemerkt habe. Bemerkt. Ja, ein bisschen. Ich werfe eine Münze, ob ich gehen oder einschlafen soll. Die Münze fällt an meiner Hand vorbei und verschwindet irgendwo. Ich habe keine Lust, im Rinnsteindreck zu graben. Soll sie liegen, wo sie liegt, ein glückliches Kind hebt sie demnächst auf. Ich entscheide mich, dem dürftigen Gewitter ein wenig nachzulaufen, vielleicht gibt es noch was zu sehen. Vielleicht nimmt es auch bloß Anlauf für die Nacht.

Das wär mal was.




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© sascha preiß 2003